Grenzerfahrung
Entlang dem Weg der deutschen Einheit
Mit dem eBike dem
„Weg der deutschen Einheit“,
einem Rad und Wanderweg folgen.
Von der westlichen zur östlichen Grenze Deutschlands fahren.
Das daraus trotz E-Unterstützung eine Grenzerfahrung würde, war nicht vorgesehen.
Vor einem Vierteljahrhundert
begann der Weg der „Wiedervereinigung“ eines bis dahin getrennten Deutschlands. Was zunächst scheinbar aussichtslos mit wiederkehrenden Fluchtbemühungen in die Prager Botschaft begann, wurde mit Zurückweisung in die damalige DDR und unter dem Zugeständnis der Straffreiheit beendet. Über die grünen Grenzen, durch Wälder und über Felder gelang vielen Ostdeutschen damals die Flucht in den Westen. Eine Reise, welche mit Öffnung der Grenzen zu Österreich im September 1989 offiziellen Charakter erhielt. Bereits am 3. November genehmigte die Ostberliner Führung ihren Bürgern die direkte Ausreise über die Tschechoslowakei. Der Eiserne Vorhang war gefallen und mit ihm fiel am 9. November 1989 die Berliner Mauer. Die endgültige Wiedervereinigung und somit der Beginn unserer heutigen Bundesrepublik fand am 12. September 1990 durch den in Moskau unterzeichneten Zwei-plus-Vier-Vertrag (Zwei deutsche Staaten plus die vier Siegermächte) seine Beurkundung.
Weiter geht es mit Muskelkater
In diesem September trafen auch Mitglieder des Lion’s Club Meinerzhagen mit Wander-freunden aus Sachsen nahe Meißen zu einer geselligen Runde zusammen, in der die Idee des heutigen „Wanderweges der Deutschen Einheit“ entstand. Es wurde ein circa 1.080 Kilometer langer Weg quer durch die Republik. Ein Weg, der auf bestehenden Wanderwegen die Städte Aachen und Görlitz verbindet. Ulrich Lange vom SGV-Groenebach begab sich mit einer Gruppe Mountainbikern auf den Weg und schrieb mit den gemachten Erfahrungen den einfachen „Wegweiser für Bergradler“. Mit dem textorientierten Büchlein in der Lenkertasche mache ich mich 25 Jahre später auf den Weg von Aachen nach Görlitz, will die Spuren der deutschen Einheit erfahren. Wenn schon West-Ost, dann auch bitte von Grenzlinie zur Grenzlinie!
Reste von Panzersperren als Zeugnisse des Zweiten Weltkrieges und damit der Ursache der Spaltung Deutschlands in Ost und West begleiten mich auf dem Weg zur belgischen Grenze im Aachener Preuswald. Von hier aus orientiere ich mich am Verlauf des „Wanderweges der Deutschen Einheit“. Da ich ein Tourenrad und kein Mountainbike fahre, muss ich mich tatsächlich unterwegs immer wieder neu orientieren, den Wanderweg an vielen Stellen von Ferne begleiten. Oft sind die Wege zwar hervorragend, liegen abseits jeglicher Zivilisation und sind gut befahrbar, aber eben nicht immer. Wer ein geländegängiges E-Bike sein Eigen nennt, kann sich aber genau an die im Wegweiser beschriebenen Umfahrungen halten – und die Strecke mit ihren angegebenen 16.000 Höhenmetern genießen. Die ersten Tourtage sind geprägt von Pfaden inmitten herrlicher Natur des Naturschutzgebiets Eifel. Grandiose Ausblicke über die Region eröffnet eine Passage oberhalb des Rursees am zweiten Tag. Hinter dem RWE-Industriemuseum, einem Wasserkraftwerk, wird es etwas knifflig. Der Weg wird schmal und ist mit einigen steileren, steinigen und wurzeligen Passagen bergauf wie bergab versehen. Ebenso halten uns einige Stufen an, die Räder zu tragen. Hier erweist sich meine Tragehilfe, ein einfacher Gurt mit breitem Polster, als geniale Erleichterung. Wer Zeit hat, sollte sich einen Besuch der NS-Ordensburg „Vogelsang“ („Führungsschule“ der NSDAP), mit einem herrlichen Blick über Eifel und Urfttalsperre, nicht entgehen lassen. Ab dem Wallfahrtsort Heimbach will ich Kilometer machen, verlas-se den Pfad und folge dem Radweg „D7“ über Mechernich nach Satzvey, wo im Zuge des Kalten Krieges die Landeszentralbank des Landes NRW ihren verbunkerten Ausweichsitz hatte. In Bad Godesberg gilt es mit dem Rhein eine natürliche Grenze zu nehmen, die in Deutschland nur noch regional auch eine politische ist. So reichen 1,60 Euro für die Fähre nach Königswinter als „Zoll“.
Weiter geht es mit Muskelkater
Weiter geht es am nächsten Tag ab Ittenbach – nun schon mit leichtem Muskelkater vom durch-querten Siebengebirge – über befestigte Wege ins Siegtal. Später folge ich dem Verlauf der „Tour de Reichshof“, der anspruchsvollsten Tour der Radregion Rheinland. Das Bergische Land hält, was der Name verspricht. Steigungen und Abfahrten wechseln sich in teils langen Serpentinen ab. Aber ab dem Biggestausee geht es über eine alte Bahntrasse bis in die Innenstadt von Olpe. Der nächste Tag wartet mit dem Kahlen Asten als höchste Erhebung (knapp 842 m ü.NN) auf, und so lasse ich es zunächst gemütlich angehen, folge der Landstraße und Radwegen in Nähe des Wanderwegs. In Saalhausen lohnt es sich, die alten Fachwerkhäuser zu bewundern. Dann geht es stetig bergauf über locker bis steinige Waldwege. Auf dem Kahlen Asten dann das pure Erfolgsgefühl: über Ausblicke, Sonnenschein und den geschafften Anstieg – trotz E-Bike eine Leistung. Der nahe Wintersportort Winterberg bietet sich mit zahllosen Hotels als Etappenziel an.
Übernächster Tourtag: Bad Wildungen mit dem angeblich schönsten hessischen Garten liegt auf der Route. Hier verläuft der Radweg sogar mitten durch den größten Kurpark Europas. Das Etappenziel Waldkappel profitierte nach der Grenzöffnung zunächst vom Besucherstrom aus dem Osten, der im Laufe der Zeit abklang. Wenn die Menschen der Region über „Förderungen und Soliabgabe“ reden, ist der Tenor klar: „Drüben ist alles neu, während bei uns vieles zusammenbricht“ – das bekomme ich auf der Reise zum Glück nicht so häufig zu hören. Entlang des Elisabethpfades, einem alten Pilgerweg, führt mein Weg am nächsten Tag weiter. Etwa fünf Kilometer vor Creuzburg überquere ich erstmals die ehemalige innerdeutsche Grenze bei Ifta. Der einstige Grenzstreifen ist mit einer Gesamtlänge von etwa zehn Kilometern Teil des Biotop-Verbundes „Grünes Band Deutschland“ und steht unter Naturschutz. In einiger Entfernung ist ein ehemaliger Wachturm der ehemaligen Grenzsicherung erkennbar. In Creuzburg erfahre ich von anderen Radlern mehr über die Befahrbarkeit des nahenden Rennsteigs. Waldwege und Wurzelstrecke, nichts für ein Tourenrad. Ich folge also der Werra bis Hörschel und weiche vom eigentlichen Weg ab, um die Lutherstadt Eisenach zu besuchen. Ein lohnenswerter Abstecher: Die Innenstadt und die Wartburg sind ein Muss. Ich lassen den Rennsteig weiter links liegen, finde im Thüringer Hof in Friedrichsroda eine Unterkunft und komme im Biergarten mit Einheimischen ins Gespräch. „Es war nicht alles schlecht, und es hätte durchaus gereicht, wenn es bei zwei Staaten geblieben wäre, wenn wir hätten reisen können“, so eine Aussage, während weitere Gäste die ehemaligen Kitas loben. Die Öffnung der Grenzen löste eine Reisewelle in den Westen aus. Viele seien ganz abgewandert, um ihr Glück „drüben“ zu versuchen, zögen allerdings heute wieder zurück.
Gasthaus in der Sperrzone
Grünau, einige Kilometer die Saale aufwärts gelegen, hat ein Gasthaus und Kleinod aus dem Jahr 1908. Mit der Gründung der DDR befand es sich inmitten der Sperrzone und durfte eigentlich nicht mehr betrieben werden. Die Übernachtung hoher Richter aus dem damaligen Regime brachte eine kleine Wende für die Betreiber. Die Sperrschilder wurden ein Stück nach hinten zum Waldrand versetzt, wodurch die Existenz des Hauses gesichert war, wenn auch Gäste nicht mehr hier übernachten durften. Die Gefahr, die Nächtigungsmöglichkeit für die Flucht in den Westen zu nutzen, war zu groß. Die Wirtin weiß noch von Trabbi-Kolonnen zu Zeiten der Grenzöffnung zu erzählen. Weiter geht es in der Nähe des ehemaligen Grenzverlaufes. Hinter Bad Steben in Bayern wird es richtig hügelig. Von der ehemaligen Grenzlinie ist nichts zu erkennen. Lediglich eine grüne Schneise inmitten des Waldes lässt den ehemaligen Verlauf erahnen. In der Region um Bad Steben war zu Zeiten des Eisernen Vorhangs die Welt zu Ende. Viele Westdeutsche kamen, um einen Blick hinter diesen Vorhang zu werfen. Die Gastleute aus meinem Quartier, dem Haus Katharina, berichten über die Zeit, als die ersten Züge aus Prag ins nahe gelegene Hof ein-rollten. Der Gastwirt selbst erlebte als Student, wie sein Professor die Vorlesungen für diesen Tag absagte, um „Geschichte real“ zu erleben. Man fuhr nach Hof, um die Ankommenden zu begrüßen und ihnen in der Stadthalle eine erste Notunterkunft zu bieten. Nach dem Fall der Mauer, weiß er zu berichten, strömten die Trabbis in die Umgebung. Das BRK (Bayrisches Rotes Kreuz) wie Privatmenschen waren in diesen eisigen Herbstmonaten abends unterwegs, um Menschen aus ihren Trabbis zu holen und ihnen warme Getränke, Verpflegung und eine warme Unterkunft für die Nacht anzubieten.
Das geteilte Dorf
Die letzte Steigung der Reise führt nach Mödlareuth und ist hart. Mödlareuth, bekannt als geteiltes Dorf, bietet heute ein lebendiges Grenzmuseum mit gut erhaltenen Anlagen und Erklärungen zur DDR-Grenzsicherung. Neben dem Museum ist ein Stück des Grenzzauns erhalten geblieben. Auch wenn die Grenze gefallen ist, bleibt der Ort heute verwaltungstechnisch geteilt: zwischen den Ländern Thüringen und Bayern. So wird die Post aus zwei Gemeinden zugestellt und es existieren unterschiedliche Postleitzahlen und Vorwahlen für ein und denselben Ort. Die Einwohner grüßen mit „Guten Tag“ einerseits, während die „andere“ Seite ein herzliches „Grüß Gott“ entgegenbringt. Während die Kinder in unterschiedliche Schulen gehen, suchen die Erwachsenen getrennte Wahlorte auf. Kulturelle Teilung innerhalb eines offenen Raumes. Der östlichste Punkt meiner Reise ist mit Mödlareuth erreicht. Bis zum Dreiländereck, wo der deutsche Teil des Eisernen Vorhangs endete, wird mich meine Reise nicht mehr führen. Nur noch ein Stück folge ich dem alten Grenzstreifen entlang des „Grünen Bandes“. Das „Grüne Band“ ist ein Naturschutzprojekt mehrerer deutscher Bundesländer. Auf dem fast 1.400 Kilometer langen Geländestreifen entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze wird in Grüngürtel geschaffen. Mit dem Tourenrad wird es mühsam voranzukommen. Steigungen und Abfahrten sind teils fast schon extrem und die Befahrbarkeit der Betonwabensteine grenzt an eine Rüttelpartie. In Nordhalben, wo ich mich im Hotel zur Post zum letztenmal vorübergehend einrichte, fühlt sich mein Akku beinahe so leer an wie der meines E-Bikes. Anstrengend war es, aber sehr anregend.
Fazit
Eine Route die ich jederzeit noch einmal fahren würde, allerdings mit Orientierung an den Radwegen. Ein leistungsstarkes eBike ist in dieser Region, gerade mit Gepäck, hilfreich. Die Region hat noch so viel zu bieten und die weitere Strecke bis nach Görlitz ist sicher erfahrenswert.